„Faule Kompromisse“ – Warum gerichtliche Vergleiche oft so unbefriedigend sind
„Wenn alle unzufrieden sind, ist es ein guter Kompromiss“ – Mit diesem vor Gericht häufig gehörten Zitat glauben Richter gerne einen lauen Vergleich leichter verkaufen zu können. Zurück geht dieser Ausspruch auf Aristide Briand, Rechtsanwalt und Friedensnobelpreisträger von 1926.
Die oft beobachtete Praxis in einer Güteverhandlung sieht so aus: Das Gericht weist darauf hin, dass der Sachverhalt strittig ist und dass eine Beweisaufnahme Zeit und Kosten verursacht. Daher sei es sinnvoll, die Differenz zwischen den Positionen der Parteien zu halbieren und dies als Vergleich festzuhalten. Bekannt ist dieser Ansatz als „splittig the difference“ oder „50/50-Lösung“.
50/50 bedeutet eigentlich 08/15
Die Gerichte sind überlastet und den Richtern ist meist an einer effizienten Erledigung von Rechtsstreitigkeiten gelegen. Nach Statistiken des Bundesamtes für Justiz hatte ein Richter am Amtsgericht im Jahr 509,89 Fälle zu bearbeiten (Quelle). Ein Vergleich macht dem Richter am wenigsten Arbeit. Dann muss er weder denken, noch ein Urteil schreiben.
Die Aufgabe der Justiz ist es, den Rechtsfrieden zu wahren. Ein Vergleich muss daher nur so gut sein, dass sich die Parteien nicht an die Gurgel gehen.
Wozu Juristen ?
Um eines Konflikt mit einer 50/50-Lösung zu erledigen, braucht es weder einen Richter noch die Beteiligung von Anwälten. Es genügt, die Grundrechenarten zu beherrschen. Das hätten die Parteien allein schneller, einfacher und vor allem günstiger hinbekommen. Bei der 50/50-Lösung trägt in der Regel jede Partei die Kosten des eigenen Anwalts und beide Parteien teilen sich die Kosten des Gerichts. Bei einem Vergleich entsteht auch für den jeweiligen Anwalt zusätzlich eine Vergleichsgebühr. Diese ist natürlich leicht verdient, wenn der Anwalt nur zu dem Vorschlag des Gerichts nickt. Das entspricht aber nicht meinem Anspruch.
Das eigentliche Ziel einer Güteverhandlung
Die Unzufriedenheit der Parteien als Qualitätsmerkmal eines Vergleiches befriedigt mich als Anwalt nicht. Unzufriedene Mandanten kann und will ich mir nicht leisten.
Bevor mein Mandant eine Einigung mit der Gegenseite trifft, möchte ich hören, dass es eine „gute Lösung“ ist. Eine gute Lösung kann dabei auch von den ursprünglichen Vorstellungen des Mandanten abweichen. In einer Verhandlung ergeben sich oft neue Aspekte oder Informationen, die zu einer Neubewertung führen.
Fazit
Die Geschichte zeigte bereits, dass der Ansatz Briands nicht optimal war. Zumindest haben die Verträge von Locarno nicht zu einer endgültigen Befriedung Europas geführt.
Wichtig finde ich es, sich als Partei nicht auf den Einigungsvorschlag des Gerichts zu verlassen. Das Gericht verfolgt in vielen Fällen seine eigenen Interessen. Diese sind oft nicht der sachgerechte Interessensausgleich, sondern die schnelle Erledigung des Falles. Ich kenne natürlich auch viele Richter, die ihre Sitzung hervorragend vorbereiten und ausgewogene und sachgerechte Vergleiche vorschlagen.
Wenn eine Einigung mit der Gegenseite in Betracht kommt, bin ich darauf vorbereitet und überlege mir bereits im Vorfeld, welche Zugeständnisse an „Beweislastverteilung“ und „Prozessrisiko“ in Betracht kommen und habe dies dann auch mit meinem Mandanten vorbesprochen. So habe ich immer der 50/50-Lösung einen sinnvollen und differenzierten Vergleichsvorschlag entgegenzusetzen.